sekundenschnelles Wiegen im Gehege

Gewichtskontrolle - die große Verwirrung

Bekanntlich ist es keine Kunst, eine Schildkröte innerhalb ihres ersten Lebensjahres auf 100 oder gar 200g zu mästen. Besonders Terrarientiere erreichen durch Bewegungsmangel, gleichmäßig hohe Temperaturen und Langeweile schnell eine ungesunde Größe und ein entsprechendes Gewicht. Wenn dann noch die Winterstarre ausfällt, hat man es mit einer typischen Dampfaufzucht zu tun. Heute weiß man, dass zu schnelles Wachstum zu Organ- und Knochenschäden führt und die Lebenserwartung erheblich verkürzt.

Die Gewichtskontrolle ist eine unkomplizierte Methode, um festzustellen, wie sich eine junge Schildkröte entwickelt hat oder um mehrere Tiere miteinander zu vergleichen. Die Auffassungen, wieviel eine Schildkröte idealerweise wiegen soll, gehen auseinander. Im Internet findet man jede Menge  Gewichtstabellen, in denen Alter und Gewicht (bei Jungtieren) bzw. Größe und Gewicht (bei adulten Tieren) miteinander abgeglichen werden. Die Empfehlungen weichen teils erheblich voneinander ab, so dass sie bei manchem Einsteiger in die Schildkrötenhaltung Verunsicherung auslösen. Mehr dazu hier: Über Sinn und Unsinn von Gewichtsempfehlungen.

Schildkröten im Schlankheitswahn?

Die bekanntesten deutschsprachigen Gewichtstabellen "www.t-hermanni.de" und "Mediterrane Landschildkröten" empfehlen eine Gewichtszunahme von 50% bis zum nächsten Lebensjahr. Im ersten Lebensjahr sollen die Schlüpflinge 100% zunehmen. Auf der Seite "Mediterrane Landschildkröten", die sich an den Empfehlungen von W.Wegehaupt orientiert, sind es sogar 100% bis zur ersten Überwinterung.

Dass Schlüpflinge schon im ersten Herbst ihr Schlupfgewicht verdoppeln ist allenfalls für Anfang Juli geschlüpfte Tiere realistisch. Es ist auch nicht anzustreben, denn solch ein explosionsartiges Wachstum in den ersten Lebensmonaten entspricht nicht dem natürlichen Rhythmus.
In den Habitaten gehen sie oft mit ihrem Schlupfgewicht in die Winterstarre und der erste deutliche Wachstumsschub erfolgt mitunter erst im kommenden Frühjahr. Da sich Schlüpflinge in ihren ersten Lebensmonaten noch von den Vorräten ihres eingezogenen Dottersack ernähren, braucht man sich keine Sorgen zu machen, dass sie in dieser Zeit verhungern. 

Und so kommt es, dass die Wachstumsgeschwindigkeit und die damit verbundene Gewichtszunahme der allermeisten von Menschenhand aufgezogenen Schildkröten über den Berechnungen nach der 50%-Regel liegen - auch wenn man sich nach besten Kräften um naturnahe Haltung bemüht. 

Tab.1 - Gewichtskurve über 5 Jahre. Meine eigenen Nachzuchten  im Vergleich mit den obengenannten Empfehlungen. Empfehlung 1 = "Mediterrane Landschildkröten", Empfehlung 2 = www.t-hermanni.de.

 

Vergleichsdaten mit verschiedenen Züchtern bestätigen meine Messwerte. Daher mein Appell an Einsteiger in die Schildkrötenhaltung: Bitte nicht verzweifeln, wenn Eure Messergebnisse über den Ergebnissen der obengenannten Seiten liegen!

Gefährlich wird es, wenn den angeblich zu schnell wachsenden Tieren aufgrund dieser Tabelle eine Diät verordnet wird, ihnen das Futter entzogen wird. Oder wenn mickrige, kranke oder verwurmte SK fälschlicherweise als gesund eingestuft werden. Auch Kalthaltung führt zu vermindertem Wachstum.

Wie man an der Grafik ablesen kann, verläuft die Gewichtszunahme bei Jungtieren aus Freilandhaltung nicht linear. In den Monaten März bis Juli erfolgt fast der komplette jährliche Zuwachs. Im August nehmen sie nur noch geringfügig zu. In den Monaten September bis November kommt es oft zu einer leichten Gewichtsabnahme, die während der Winterstarre durch Aufnahme von Feuchtigkeit wieder ausgeglichen wird. Somit starten die Tiere nach der Winterstarre etwa mit dem August-Gewicht des Vorjahres. 

Je mehr Schildkröten man selbst groß zieht desto häufiger werden die Abweichungen von der Norm - trotz gleicher Rahmenbedingungen. Selbst Tiere aus demselben Gelege können sich unterschiedlich entwickeln. 

 

Tab.2: Gewichtszunahme meiner Nachzuchten von 2006 im ersten Lebensjahr. Unterschiedliche Farben = unterschiedliche Muttertiere. Die Unterbrechung = die Winterstarre, in der nicht gewogen wurde. Auch die Schlüpflinge, die in den ersten Monaten kaum zugenommen hatten, haben die Winterstarre unbeschadet überstanden. Endet eine Linie, zeigt sie an, dass das entsprechende Tier abgegeben wurde.

Da die großen Tiere meist die ersten sind, die abgegeben werden und die Kleinsten am längsten beim Züchter verbleiben, müssten die Werte eigentlich noch weiter nach oben korrigiert werden.

 

Tab.3: Gewicht meiner Thb Nachzuchten von 2004-2017 im ersten Lebensjahr: Die y-Achse zeigt das Gewicht in Gramm. Die dunkelrote Linie zeigt den Durchschnittswert. An den grauen Begrenzungslinien kann man das Gewicht des leichtesten bzw. schwersten Tieres ablesen. Wie man sieht sind die Abweichungen vom Durchschnitt beträchtlich. Die Anzahl der verglichenen Tiere im Alter von 1 Monat beträgt 137 (n=137) mit 12 Monaten (n=84).  

  

 Tab.4: Wie unterschiedlich sich die Tiere trotz gleicher Haltungsbedingungen entwickeln ist in der Tabelle oben dargestellt. Sie zeigt die Gewichtsentwicklung meiner Nachzuchten bis zum Alter von 10 Jahren. Sie wurden ganzjährig im Freiland gehalten, hatten ein beheizbares Frühbeet bzw. Gewächshaus zur Verfügung, wurden mit Wildpflanzen ernährt und hielten eine Winterstarre von durchschnittlich 4 Monaten.

 

Gewichtsentwicklung während eines Jahres

Wie man an den Grafiken ablesen kann, verläuft die Gewichtszunahme bei Jungtieren aus Freilandhaltung nicht gleichmäßig. In den Monaten März bis Juli erfolgt fast der komplette jährliche Zuwachs. Im August nehmen sie nur noch geringfügig zu. In den Monaten September bis November kommt es oft zu einer leichten Gewichtsabnahme, die während der Winterstarre durch Aufnahme von Feuchtigkeit wieder ausgeglichen wird. Somit starten die Tiere nach der Winterstarre etwa mit dem August-Gewicht des Vorjahres. In den ersten Wochen nach dem Auftauschen aus der Winterstarre kann es zur Gewichtsabnahme kommen, besonders wenn die Tiere in einem Übergangsterrarium gehalten werden, wo es in der Regel an Feuchtigkeit fehlt.

 

Gewicht adulter Schildkröten

Bei adulten Schildkröten ist das ermittelte Gewicht eines einzigen Tages nicht sehr aussagekräftig. Die Differenz von einem Tag zum anderen kann 5% betragen. 

Das Gewicht meiner adulten Schildkröten nach der Winterstarre liegt leicht über dem Einwinterungsgewicht. Je nach Futterverfügbarkeit und Verdauungstätigkeit schwankt das Gewicht in den aktiven Monaten März bis Ende Juli täglich um erheblich. Weibchen überschreiten ihr Durchschnittsgewicht nur knapp, wenn sich Eier ausbilden. Es scheint so zu sein, dass die Eier allmählich den Darm- und Mageninhalt verdrängen - denn der Panzer ist nicht dehnbar. Es steht nur begrenzter Raum zur Verfügung. Der Gewichtsverlust nach erfolgter Eiablage entspricht logischerweise ziemlich genau dem Gewicht des Geleges, also 50 - 180g. Die entstandenen Hohlräume werden aber innerhalb kurzer Zeit wieder aufgefüllt. Eierlegen macht hungrig. Das Gewicht hat sich - je nach Gelegegröße - manchmal schon nach 2 Tagen wieder auf den normalen Stand eingependelt. 

Tab 5: Gewichtsverlauf im Jahresrhythmus

 

Die Gewichtsschwankungen sind bei meinen Weibchen nicht größer als bei den Männchen - außer direkt nach der Eiablage.

Auffällig ist, dass alle meine adulten Tiere im Laufe der letzten 13 Jahre (so lange führe ich regelmäßig Buch) an Gewicht zugelegt haben. Möglich, dass sie bei kontinuierlicher Verbesserung der Haltungsbedingungen mehr Kalzium im Skelett eingelagert haben. Vielleicht deutet es aber auch darauf hin, dass auch adulte Schildkröten noch wachsen. Die Carapaxlänge SCL änderte sich keinen Millimeter, jedoch gibt es einen leichten Breiten-Zuwachs an der Mittelnaht des Plastron, so dass ich von einer Zunahme des Volumens ausgehe. 

 

Wozu überhaupt wiegen?

Die Gewichtskontrolle ist unkompliziert und für die Schildkröte nahezu stressfrei im Vergleich zu anderen Mess-Methoden. 

Ich wiege meine Schlüpflinge, um festzustellen, ob die Entwicklung kontinuierlich verläuft. Wenn ein Winzling über Wochen nicht zunimmt, wird er geauer beobachtet und evtl. separiert und aufgepäppelt. Bei hoher Konkurrenz um das Futter kommen kleinere oder weniger energische Tiere schon mal zu kurz. Auf der Grafik kann man sehen, dass manche Schlüpflinge erst nach der Winterstarre richtig "in Gang" kommen. Die Jungtiere werden in der Wachstumsphase einmal montlich gewogen. Wozu? Um schöne bunte Gewichtstabellen zu erstellen. Und um gegebenenfalls das Futterangebot zu reduzieren bzw. zu erhöhen. Ein stagnierendes Gewicht kann auch ein Anzeichen für Wurmbefall sein.

Durch Gewichtsvergleiche lässt sich feststellen, ob ein Weibchen gerade Eier gelegt hat, aber nur dann, wenn man sie in der trächtigen Phase täglich wiegt. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass der Wiegevorgang sekundenschnellschnell und stressfrei verläuft. 

Letztendlich wird die Gewichtsangabe auch seitens der Behörde für die Fotodokumentation verlangt.


Die bekanntesten Gewichtsrechner,Gewichtstabellen und Wachstumsempfehlungen


Adulte oder ältere Schildkröten: Abgleich von Größe und Gewicht:
Jackson ratio (Abgleich Stockmaß SCL und Gewicht bei Schildkröten ab 100g)
Calculator  nach Hailey (Berechnung des Konditionsindex, einer Art BMI) 
Wachstumsberechnungen testudolinks (Konditionsindex, Herkunft, Endgröße)
Wachstumstabelle Testudobayern (Abgleich Carapaxlänge und Gewicht)
Jungtiere: Abgleich von Alter und Gewicht = Wachstumsgeschwindigkeit
www.t-hermanni.de 
Mediterrane Landschildkröten 
Gewichtsverlauf meiner eigenen Thb Gewichtstabellen Thb

 

 

 

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