ROGER MEEK: "Nutritional Selection in Hermanns Tortoise, Testudo hermanni, in Montenegro and Croatia" 

http://www.britishcheloniagroup.org.uk/testudo/v7/v7n2meek 


ein englischsprachiger Artikel über Futterpflanzenvielfalt und die Rolle von Giftpflanzen bei Testudo hermanni in Montenegro und Kroatien. Der Artikel liefert überraschende Einblicke in das Ernährungsverhalten von T.hermanni in freier Wildbahn. Das Wichtigste habe ich hier für euch übersetzt und zusammengefasst:

Methode:

Für die Untersuchung wurden Daten aus älteren Feldstudien aus den Achziger Jahren neu ausgewertet. Populationen in Montenegro und Kroatien wurde über die gesamte aktive Phase von Mai bis Oktober täglich über mehrere Jahre hinweg beobachtet. Es wurden Daten erhoben und alle gefressenen Pflanzen gesammelt und bestimmt. 

Ergebnisse:

Insgesamt wurden 63 Futterpflanzenarten gezählt - 62 bekannte Arten und eine, die nicht identifiziert werden konnte. In beiden Gebieten wurden Leguminosen deutlich bevorzugt, und zwar hauptsächlich Medicago ssp (Schneckenkleearten) In Kroatien machten Leguminosen 50% der Ernährung aus, in Montenegro sogar 60%! Bei der Forschungsgruppe in Montenegro enthielten 16,7% der Futterpflanzen Gifte oder Alkaloide. Wenn man die Pflanzen dazu rechnet, die schädliche Stoffe im weiteren Sinne enthielten, kommt man sogar auf 26,2%. Die Chenopodiaceae sind bekannt für hohe Nitratkonzentrationen und die Aristolochiaceae für Saponine und Säuren, die beim Menschen Nierenschäden und Krebs hervorrufen. 

Die Testgruppe in Kroatien fraß alles, was nahrhaft und verfügbar war. So werden dort im Herbst auch Pilze konsumiert, die bekanntlich höhere Energiewerte haben als Blätter. Giftige oder schadstoffhaltige Pflanzen wurden hingegen nicht ermittelt

Die Säulendiagramme aus dem Originalartikel habe ich zur besseren Übersicht in Kreisdiagramme verwandelt und farbig gestaltet. Die blauen Segmente markieren die giftigen und schadstoffhaltigen Pflanzen.


Zur Erläuterung der lateinischen Bezeichnungen hier eine Pflanzentabelle mit Beispielpflanzen 

Lat. Bezeichnung der Pflanzenfamilien

Dt. Bezeichnung der Pflanzenfamilien

Arten (Beispiele) 

Fabaceae (=Leguminosae)

Unterfamilie Papilionaceae

Hülsenfrüchte

(= Leguminosen)

Unterfamilie Schmetterlingsblütler

 

Bohnen, Wicken, Weißklee, Schneckenklee, Hornklee, Lupine, Platterbse

Plantaginaceae

Wegerichgewächse

Wegerich, Leinkraut

Poaceae 

Süßräser

 

Rubiaceae

Rötegewächse

Labkraut

Scrophulariaceae

Braunwurzgewächse (früher: Rachenblütler)

Königskerze

Cruciferae (Brassicaceae)

Kreuzblütler

Kohl, Rauke, Kresse, Schaumkraut, Senf, Steinkraut

Asteraceae

Korbblütler

Löwenzahn, Distel

Rosaceae

Rosengewächse

Rose, Obstbäume, Brombeere, Nelkenwurz, Frauenmantel, Erdbeere

Umbelliferae

Doldenblütler

Wilde Möhre, Wiesenkerbel, Giersch

Labiatae

Lippenblütler

Taubnessel, Lavendel, Thymian

Basidiomycetes

Pilze

 

Ranunculaceae

Hahnenfußgewächse

Hahnenfuß, Clematis

AraliaceaeEfeugewächseEfeu
AristolochiaceaeOsterluzeigewächseOsterluzei
ChenopodiaceaeFuchsschwanz- oder GänsefußgewächseMelde, Spinat


 

Von Testudo hermanni boettgeri in Montenegro gefressene Giftpflanzen

Familie 

Gattung

Art

dt. Bezeichnung

Inhaltsstoffe

Ranunculaceae

Clematis

vitella

Clematis

Alkaloide

Ranunculaceae

Ranunculus

acris

Scharfer Hahnenfuß

Alkaloide

Araceae

Arum

italicum, maculatum or orientalis

Aronstab

Alkaloide

Araliaceae

Hedera

helix

Efeu

Saponine

Chenopodiaceae

Chenopodium

 

Melde

Hohe Nitratkonzentration

Aristolochiaceae

Aristolochia

 

Osterluzei

Nierenschädigende und krebserregende Säuren

 

Diskussion

Leguminosen sind wohl wegen ihres hohen Nährwertes so beliebt bei Schildkröten und weil das Fressen wenig Mühe bereitet. Gräser hingegen - obwohl in allen untersuchten Gebieten massenweise vorhanden - werden selten angerührt. Das bedeutet, dass es Schildkröten nicht darum geht, sich einfach schnell ihre Bäuche vollzuschlagen, obwohl sie eigentlich die Möglichkeit dazu hätten. Die Suche nach weniger häufigen, aber nährstoffreichen, Pflanzen kostet zwar Bewegungsenergie, jedoch wird die Energiebilanz durch den ehöhten Eiweißgehalt der Futterpflanzen mehr als ausgeglichen. Es lohnt sich für die Tiere, auch weitere Wege auf sich zu nehmen. 

Dennoch handelt es sich bei Testudo hermanni eher um Nahrungsgeneralisten als um Nahrungsspezialisten mit einem Diversity-Index* von ca. 0,7. 

Auch der Albanische Biologe Haxhiu (1995) bestätigte, dass albanische Testudo hermanni hauptsächlich Leguminosen der Unterfamilie Papilionaceae (Schmetterlingsblütler) fraßen, außerdem Kulturpflanzen, wie Kürbisse und Gurken und heruntergefallene Früchte, sowie eine kleine Menge tierisches Material. Eine grobe Berechnung der albanischen Daten ergab einen Mindest Diversity-Index von 0,67, was gut zu den vorliegenden Ergebnissen passt. 

Die Auswahl der Futterpflanzen wird neben der Verfügbarkeit noch durch andere Faktoren beeinflusst. Im Herbst reduziert sich im Untersuchungsgebiet Kroatien die Futterpflanzenvielfalt auf 70% im Vergleich zum Sommer. In dieser Zeit nimmt auch die motorische Aktivität der Tiere ab. Diese ist wiederum verknüpft mit einer niedrigeren Körpertemperatur, was insgesamt dazu führt, dass die Tiere weniger Nahrung benötigen. 

Verglichen mit bestimmten anderen Schildkröten, besonders mit denen aus Dürregebieten (e.g. Nagy & Medica, 1986; Lagarde et al., 2003), ist die Fresshäufigkeit bei Testudo hermanni jedoch relativ hoch.

Verwandte der T.hermanni haben ein eingeschränkteres Nahrungsspektrum. Die Steppenschildkröte Testudo (= Agrionemys) horsfieldii weist einen geringeren Diversity- Index auf. (Lagarde et al., 2003). Anscheinend passt diese Art seine Ernährung der Verfügbarkeit von Pflanzen an, indem sie fast ausschließlich die häufigsten Pflanzen frisst. Allerdings wurde - ebenso wie bei T.hermanni - Gras generell vermieden. Lagarde erwähnt, dass trockenes Gras ein negativen Einfluss auf das Wasser-Stickstoff Verhältnis habe. Dies mag bei bei T.hermanni, die in feuchten Habitaten auf dem Balkan leben, keine Rolle spielen, bei Horsfieldii in trockenen Gebieten dagegen schon.

Bei Nahrungsgeneralisten, besteht das Risiko, dass einige der konsumierten Pflanzen Gifte oder schädliche Stoffe enthalten. Zwar werden diese normalerweise gemieden, aber nicht immer - besonders dann nicht, wenn sie wichtige Nährstoffe beinhalten. So ernährten sich die Schildkröten aus der Testgruppe in Montenegro zu 16% von Hahnenfußgewächsen (Ranunculaceae)! Welchen Sinn hat dieses Verhalten? Der Biologe Lagarde vermutete, dass es Vorteile im Wettbewerb mit pflanzenfressenden Säugetieren bringt. Wobei frühere Studien (Freeland & Janzen,1974) davon ausgehen, dass Giftstoffe eine sehr hohe Stoffwechselbelastung nach sich ziehen, was diese Vorteile wieder zunichte machen würde. 

Longepierre & Grenot (1999) stellten nach einer Entwurmungsbehandlung eine Ernährungsumstellung bei T.hermanni fest, und zwar von einer auf hauptsächlich Ranunculaceae basierten Ernährung, die eine hohe Konzentration des Giftes Ranunculin enthielten, zu den giftfreien Korbblütlern. Vermutlich war das Ranunculin als natürliches Wurmmittel daran beteiligt, die Parasitenmenge zu reduzieren. Hier wäre die hohe Stoffwechselbelastung durch die Vorteile aufgewogen. Dies ist ein unerwartetes Resultat und verdient weiterhin Beachtung.

Mikroben und Nematoden-Populationen im Darm unterstützen die Verdauung bei Pflanzenfressern, und ein Schaden der Darmfauna könnte ihrerseits die Gesundheit beeinträchtigen. Der Wissenschaftler Iverson vermutet, dass bestimmte pflanzenfressende Reptilien sogar einen spezialisierten Darmtrakt entwickelt haben, der eine hohe Dichte von Nematoden, Bakterien und Protozoen begünstigt. Sein Kollege Tracy ist daher der Meinung, dass Pflanzenfresser optimalerweise eine krasse Fütterungsumstellung vermeiden sollten, um die Darmflora nicht zu schädigen.

*) Den Grad der Nahrungsspezialisierung, den "Diversity-Index", kann man mit einer eigens dafür entwickelten Formel errechnen (Siehe Original Artikel). Liegt der Diversity-Index nahe 0, frisst das Tier nur wenige ausgewählte Futterpflanzen, ist also ein Nahrungsspezialist. Je näher der Index am Wert 1 liegt, desto breiter gefächert ist das Nahrungsspektrum des Tieres. 

 

Eigene Gedanken: 

Erstaunlich, wie hoch der Anteil an eiweißreichen Pflanzen ist! Zu einem ähnlichen Ergebnis kam ja auch schon A.und O.Iftime in ihrer rumäischen Langzeitstudie. Dazu kommt ein nicht geringer Anteil an Pilzen in Kroatien, die ebenfalls sehr energiereich sind. Klee & Co. scheinen besser zu sein als ihr Ruf. Sollten wir mehr Leguminosen füttern?

In Mazedonien wurden 10, in Kroatien 7 Pflanzenfamilien gezählt. Das ist weniger Abwechslung als manche Halter ihren Schildkröten unter menschlicher Obhut anbieten. Schon selsam, dass T.hermanni in Kroatien nur wenige und in Mazedonien überhaupt keine Asteraceae (Löwenzahn, Disteln) fressen! Auch Brennessel, Borretschgewächse, Kardengewächse, Malven und Mohn etc. fehlen. Die bei unseren SK so beliebten Kreuzblütler fressen sie nur in geringem Maße. 

 

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