Datenerhebung zu Todesfällen während der Hibernation 2016/17

 

Methode und Datensammlung

Seit 2012 sammele ich Informationen über Schildkröten, die die Überwinterung nicht überlebt haben. Sinn dieser Datensammlung und deren Auswertung ist es, Zusammenhänge zwischen Todesfällen und anderen Parametern herzustellen und somit Gefahrenquellen zu erkennen und die Überwinterungsqualität zu verbessern. Im Jahr 2014 habe ich die bis dahin vorliegenden Ergebnisse schon einmal in dem Artikel "Nachdenkliches zur Überwinterung" zusammengefasst.

Die erhobenen Daten stammen aus meinem persönlichen Umfeld und aus dem Internet. Ich bin in mehreren Schildkrötenforen und Facebook-Schildkrötengruppen aktiv und halte Kontakt zu etlichen Schildkrötenhaltern. Wenn ich von Todesfällen während der Überwinterung erfahre, erfrage ich von den Haltern Einzelheiten, sofern sie sie nicht schon von sich aus genannt haben. Die gesammelten Daten der Überwinterungssaison 2016/17 stammen aus drei Facebook Schildkrötengruppen und zwei Schildkrötenforen. Zwei Fälle stammen aus dem Portal "Gute Frage.net". Fälle, zu denen nur wenige Einzelheiten bekannt sind, habe ich nicht in die Statistik aufgenommen. Ebenfalls nicht in die Statistik aufgenommen habe ich wenige Monate alte Schlüpflinge mit Wachstumsstörungen und/oder auffälligen Deformationen.

Zusätzlich erhebe ich Daten zu Panzerröte – unabhängig davon , ob das Tier gestorben ist oder überlebt hat.

 

Auffällig viele Todesfälle im Winter 2016/17?

Während in den vergangenen 5 Jahren von durchschnittlich 25 verstorbenen Schildkröten pro Jahr berichtet wurde, waren es im vergangenen Winter 51 - also deutlich mehr als in den Vorjahren. Zu diesen 51 kam noch eine Gruppe von ca. 15 jungen T.hermanni, die in einem Kühlraum in ihren Überwinterungskisten einem Mäuseangriff zum Opfer fielen. Diese habe ich nicht in die Erhebung aufgenommen.

An Spekulationen über die Ursachen fehlte es nicht. Vermutet wurde eine Schildkrötenseuche, ein neues Virus oder man fragte sich, ob die Vogelgrippe verantwortlich sei. Andere suchten den Grund bei den überdurchschnittlich kalten Temperaturen, die zu Beginn des Jahres in einigen Gebieten Süddeutschlands und Österreichs herrschten.

Ein Grund für die Häufung ist sicherlich, dass zunehmend mehr Halter das Internet nutzen und dass einfach mehr Beiträge geschrieben werden. Frohe Nachrichten, dass  Schildkröten ihre Überwinterung gesund und munter überstanden hatten, gab es nämlich ebenfalls häufiger zu lesen. Ob diese Begründung als alleinige Erklärung für die gehäuften Todesfälle herhalten kann, vermag ich nicht zu beurteilen.

Im Folgenden stelle ich die 51 verstorbenen Schildkröten des vergangenen Winters den 139 Fällen, die ich in den letzten 5 Jahren gesammelt habe, gegenüber.

 

Überwinterungsorte

Um Aussagen über die Todesrate in bestimmten Überwinterungsquartieren zu treffen, muss zunächst die Anzahl der gestorbenen Tiere zu der Gesamtzahl der Überwinterungsquartiere ins Verhältnis gesetzt werden. Dazu habe ich eine Umfrage in den zwei derzeit bekanntesten Schildkrötenforen und in 3 großen Schildkröten-Facebookgruppen geschaltet. Die Frage lautete "Wo habt ihr im Winter 2016/17 eure Schildkröten überwintert?" Teilnehmer, die in mehreren dieser Netzwerke aktiv sind, wurden aufgefordert nur einmal abzustimmen. 359 Halter haben ihre Stimme abgegeben. Erfragt wurde die Zahl der Halter, nicht die Zahl der überwinterten Tiere. Hier das Ergebnis.

"Wo habt ihr 2016/17 eure Schildkröten überwintert?"

Im vergangenen Winter wurden die meisten Schildkröten im Kühlschrank überwintert (40%), dicht gefolgt von Gewächshaus/Frühbeet (37%) Die Zahl der Halter, die ihre Schildkröten im Gewächshaus oder Frühbeet überwintern, hat in den letzten 3 Jahren erwartungsgemäß leicht zugenommen, während die Zahl der Kühlschranküberwinterungen abgenommen hat. Warum die Zahl der Überwinterungen in Garage/ Schuppen/ Gartenhaus um knapp 3% zugenommen hat, ist mir nicht ersichtlich. Vielleicht ist es einfach Zufall. Die Option "Erdkeller, Bunker" gab es 2014 noch nicht. Die betreffenden Halter haben damals bei "Keller" abgestimmt.

 

Überwinterungsorte im Zusammenhang mit Todesfällen

Bis März scheint es so, als würden die Todesfälle gehäuft im Kühlschrank auftreten. Das ist logisch, da sich die im Gewächshaus oder Frühbeet vergrabenen Tiere seltener kontrolliert werden. Im März ändert sich das Bild.

       

Gegenüberstellung Todesfälle der letzten 5 Jahre und des vergangenen Winters 2016/17

Der Kühlschrank war von 2012 bis 2015 zahlenmäßig und verhältnismäßig das Winterquartier mit den höchsten Ausfällen. Im Frühbeet oder Gewächshaus überlebten nur vereinzelte Schildkröten die Winterruhe nicht. In den letzten beiden Wintern scheint das Risiko im Frühbeet oder Gewächshaus fast ebenso hoch zu sein wie im Kühlschrank. Im Moment habe ich noch keine Erklärung für dieses Phänomen.

Das Substrat in den Überwinterungskisten war - wie schon in den vergangenen Jahren - sehr unterschiedlich: Als untere Schicht diente Erde, Sand oder Blähton, abgedeckt mit Buchen-, Walnuss- oder Hainbuchenlaub, Stroh oder Sphagnum. Völlig ungeeignetes Material schien nicht dabei gewesen zu sein. Es wurde eher feucht als trocken überwintert.

Eine weitere Besonderheit der Überwinterungssaison 2016/17 im Bezug auf die Überwinterungsquartiere: Es fällt die prozentual hohe Zahl der Todesfälle unter der Rubrik "Garage, Schuppen, Gartenhaus" auf. 8 Exemplare von 3 unterschiedlichen Haltern starben in einer Garage.

 

Panzerröte deutlich häufiger im Kühlschrank

Von den 13 Schildkröten, bei denen 2016/17 ein geröteter Panzer auftrat, überwinterten 11 im Kühlschrank und nur eine im Frühbeet. Zu einem Tier gab es keine Angabe. 8 Tiere mit gerötetem Panzer wurden tot im Kühlschrank aufgefunden, 5 Tiere lebten. Eine von ihnen starb nach einigen Tagen. Eine der Überlebenden hatte eine Lungenentzündung und wurde tierärztlich behandelt. Bei den anderen 3 Überlebenden ging die Rötung ohne tierärztliche Behandlung zurück.

 

Arten

Unter den verstorbenen Schildkröten war 6x T.hermanni ohne Angabe der Unterart, 19x T.hermanni boettgeri, 5x T.hermanni hermanni, 3x T.graeca ibera, 6x T.marginata. T.hermanni boettgeri wird mit Abstand am häufigsten gehalten. Daher verwundert die entsprechend hohe Zahl der Todesfälle nicht. Im Gegensatz zu den Vorjahren wurde dieses Jahr von keiner einzigen verstorbenen Testudo horsfieldii berichtet, hingegen war die Zahl von 6 Testudo marginata überdurchschnittlich hoch. Es gab in einer Facebookgruppe sogar noch weitere Berichte von verstorbenen Marginatas, jedoch waren die Angaben über die Begleitumstände zu wenig konkret für diese Studie.

 

1,5 Jahre – das riskante Alter

Das höchste Sterberisiko besteht, wie schon Untersuchungen aus den Vorjahren zeigten, mit 1,5 Jahren, also in der Regel nach der 2. Überwinterung. Dies wurde auch in der vergangenen Wintersaison wieder deutlich, wobei die Tatsache im vergangenen Winter prozentual nicht ganz so signifikant hervortrat wie in den Vorjahren, da die 6 verstorbenen T. marginata alle semiadult oder adult waren. Bei Schlüpflingen ist das Sterberisiko ebenfalls hoch. Mit zunehmendem Alter sinkt die Gefahr, dass die Schildkröte die Winterstarre nicht überlebt

Für 2016/17 wurde in 7 Fällen keine Altersangabe gemacht. In 5 weiteren Fällen konnte ich die Frage nach dem exakten Alter nicht klären, da die Halter das Alter auf eine glatte Jahreszahl auf- oder abgrundet hatten. Bei der Angabe "3 Jahre" ist das Tier jedoch in den seltensten Fällen im Winter wirklich 3 Jahre, denn der Schlupf erfolgt in der Regel im Sommer. Das Tier ist entweder 2,5 oder 3,5 Jahre. So habe ich entschieden, das nächst niedrigere Alter einzutragen.  Eine Schildkröte mit der Altersangabe "3 Jahre" hat demnach 3 Überwinterungen hinter sich, ist aber 2,5 Jahre.

 

Vorgeschichte

Bei 33 der 51 verstorbenen Exemplare von 2016/17 gab es Hinweise auf die Vorgeschichte der verstorbenen Schildkröte

  • 23 der im Winter 2016/17 gestorbenen Schildkröten stammten aus guter oder sogar vorbildlicher Haltung.
  • 5 waren aus "schlechter Haltung gerettet" worden. Sie befanden sich 2 oder 3,5 Jahre beim neuen Besitzer.
  • 1 hatte nicht näher bezeichnete Vorerkrankungen und wurde jahrelang mit Antibiotika behandelt
  • 2 waren Mickerchen, deren Geschwister bereits gestorben waren
  • 2 Schildkröten wurden spät (im September) entwurmt

 

Eintritt des Todes

Konkrete Angaben gab es zu 32 der im Winter 2016/17 verstorbenen Tieren:

     Todeseintritt

Anzahl

     während der Überwinterung

10

      Kurz nach der Auswinterung bzw. nach dem  selbständigen Ausgraben

12

     1-2 Tage nach der Auswinterung

5

     3-7 Tage nach der Auswinterung

5

Natürlich können auch später noch Krankheiten und Todesfälle auftreten, jedoch ist es mit fortschreitender Zeit immer schwieriger einen ursächlichen Zusammenhang mit der Überwinterung herzustellen.

 

Verhalten

20x gab es Angaben zum Verhalten vor dem Todeseintritt:

Verhalten

Anzahl

Normales, unauffälliges Verhalten

7

Unruhig vor der Einwinterung

1

Unruhig im Winterquartier

3

Unruhig, "hyperaktiv" nach dem Aufwachen

1

Passiv, frisst nicht

2

liegt nach dem Aufwachen/ Auswintern den ganzen Tag teilnahmslos unter Wärmelampe

1

Schüttelnde, unkontrollierte Kopf- und Beinbewegungen

5

 

Erscheinungsbild der toten Schildkröte

Folgende Erscheinungsbilder wurden beschrieben:

9 Schildkröten hatten Einblutungen im Plastron (Sepsis oder Panzerröte). Bei 5 Tieren war eingetrockneter Lungenschleimschaum an den Kopföffnungen zu finden. Bei 2 Tieren trat flüssiger Schleim aus Nase und Maul aus. Jeweils 1x wurden genannt: geschwollene Augen, geschwollener Hals, Sekret am Auge, rote Nasenlöcher. 4 Tiere hatten keine äußeren Anzeichen.

 

Verstorbene T.hermanni hermanni mit eingetrocknetem Lungenschleimschaum an Nase und Maul (Foto: Ingrid Eder)

 

Tierärztliche Diagnosen und Sektionsbefunde:

1x Leberschaden und unspezifische Entzündungen

1x Verdacht auf Virus X

2x Verstopfung => Entzündung der Darmschleimhaut

1x Aeromonas

3x Lungenproblem (vermutet)

2x keine Krankheit festgestellt

Weitere (in meinen Augen eher zweifelhafte) Tierarztdiagnosen: Überwinterungsfehler, zu schnell aufgewärmt, zu jung.

 

Schlussfolgerungen

Bekannt ist, dass eine erfolgreiche Überwinterung eng mit den Haltungsbedingungen verknüpft ist. Die vorliegenden Berichte stammen von Haltern, die sich um artgerechte Haltung bemühen und deren Tiere - oftmals überraschend - trotzdem gestorben sind. Die vielen Halter, deren Schildkröten in Wohn- und Kinderzimmern vor sich hin vegetieren und eines Tages zugrunde gehen, stellen ihre Tiere normalerweise nicht an Diskussionsforen oder Facebook-Schildkrötengruppen vor. Daher sind sie auch nicht Thema dieser Untersuchung.

Bei den 5 Schildkröten aus ehemals schlechter Haltung und bei der Schildkröte mit Vorerkrankungen war ein vorzeitiges Ableben  absehbar, ebenso bei den beiden 2,5-jährigen T.hermanni boettgeri mit Wachstumsdefiziten,deren Geschwistertiere schon nach der ersten Überwinterung gestorben waren. Bei 2 Tieren gab es möglicherweise einen Zusammenhang mit einer erst im Herbst erfolgten Entwurmung. Leider gibt es immer noch Tierärzte, die auf entsprechende Risiken nicht hinweisen.

Die 5 Tiere, die aus schlechter Halltung stammten, befanden sich 2 oder 3,5 Jahre beim neuen Besitzer. Das heißt: Haltungsfehler können sich noch 2 – 4 Jahre nach der Übernahme auswirken.

Die übrigen unerwartet eingetretenen Todesfälle zeigen wenig Gemeinsamkeiten. Selbst wenn Schildkröten aus dem selben Bestand tot aufgefunden wurden, waren die äußeren Erscheinungsbilder oft unterschiedlich. So kann beispielsweise beim selben Halter ein verstorbenes Tier einen rötlichen Bauchpanzer aufweisen und ein anderes nicht. Die tierärztlichen Diagnosen und Sektionsbefunde ergeben keinen Anhaltspunkt für eine neue Krankheit oder gar Seuche.

Deutlich war lediglich der Zusammenhang zwischen Panzerröte/Sepsis und Kühlschranküberwinterung - was keinesfalls bedeutet, dass alle im Kühlschrank überwinterten Schildkröten Sepsis-Kandidaten sind.

Das höchste Sterberisiko besteht bei 1,5-jährigen Schildkröten. Möglicherweise lässt ein beim Schlüpfling vorhandener Immunschutz in diesem Alter nach (A.Brosda, 2011). Da jedoch die Winterstarre erwiesenermaßen mehr Vorteile als Nachteile für die Entwicklung hat, kann die Konsequenz nicht sein, die Überwinterung in diesem Alter ausfallen zu lassen. Die allermeisten Schildkröten erwachen auch in diesem Alter unbeschadet aus der Winterstarre. Käufer und verantwortungsvolle Züchter sind auf der sicheren Seite, wenn Jungtiere erst nach der zweiten Überwinterung abgegeben werden und nicht nach der ersten, wie es meistens der Fall ist.

T.marginata verträgt feuchte Überwinterungsbedingungen schlechter als andere Arten (C.Leone, 2016). Ebenso wie T.hermanni hermanni neigt diese Art dazu, während des Winters zum Vorschein zu kommen, Sonne zu tanken und dadurch ihren Stoffwechsel zwischenzeitlich anzukurbeln. Diese Möglichkeit entfällt in vielen Winterquartieren, z.B. im Kühlschrank, in verschlossenen Kisten oder in einer externen Überwinterungsgrube.

Bei 2 Tieren wurde per Sektion eine Darmentzündung durch im Darm verbliebenen Nahrungsbrei festgestellt. Auch in den vorigen Jahren gab es Sektionsberichte, wo verknäulte Würmer, Fremdkörper oder halb verdauter Nahrungsbrei zu Darmentzündungen durch Verstopfungen führten. Um die Gefahr zu minimieren, helfen 1-2 lauwarme Bäder vor der Überwinterung, sofern die Schildkröte nicht von sich aus die Badeschüssel aufsucht.

Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen feuchter Überwinterung und Todesfällen, insbesondere in feuchten Sphagnum. Alle 5 Tiere, bei denen eingetrockneter Lungenschleimschaum aus den Kopf-Öffnungen ausgetreten war, wurden in feuchtem Sphagnum überwintert. Ob von feuchtem Sphagnum eine Gefahr ausgeht, lässt sich zwar durch die vorliegende Erhebung nicht klären, jedoch deuten verschiedene Berichte darauf hin. Dagegen stehen allerdings auch Berichte von Haltern, die seit Jahren in feuctem Sphagnum überwintern und bisher keinerlei Probleme hatten. Ob es einen Zusammenhang gibt, müsste genauer untersucht werden.

 

Literatur:

Brosda, A. (2011): Untersuchungen zur Infektion mit Oxyuren bei mediterranen Landschildkröten in menschlicher Obhut und ihr Einfluss auf die Entwicklung juveniler Testudo graeca. – Berlin (Mensch & Buch Verlag), 164 S.

Leone, C. & A. Hermes (2016): Testudo marginata: Haltung und Pflege in verschiedenen Teilen der Vereinigten Staaten, mit Bemerkungen zu möglichen Unterarten. – Radiata, Berlin, 25 (2): 16–44.

 

 

 

 

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