Bulgarien Oktober 2017


4.10.

Juhu, morgen geht es los nach Bulgarien! Emilio und ich freuen uns auf Ivo und Iva vom Schildkrötenzentrum in Banya an der Schwarzmeerküste, mit denen uns inzwischen eine herzliche Freundschaft verbindet. Iva schrieb, dass nach monatelanger Hitze und Trockenheit letzte Woche endlich der ersehnte Herbstregen eingesetzt hat. Es ist das Signal für die Schlüpflinge von Thb und Tgi, aus der Erde ans Tageslicht zu kommen. Die ersten wurden schon gesichtet.
Wir sollen warme und wetterfeste Kleidung einpacken, die Temperatur in der Gegend betrug letzte Nacht nur noch 6°C. Die Tagestemperaturen liegen natürlich wesentlich höher. Sobald die Sonne scheint, sind es über 20°C.


5.10.

Tag 1 unserer Schildkrötenreise. Wir fliegen aus dem regnerischen und stürmischen Hannover Richtung Südosten und landen nach einem Zwischenstopp in Wien in Varna. Strahlend blauer Himmel, 22°C.
Am Flughafen mieten wir ein Auto, weil Ivos Wagen, die alte Gurke, anscheinend endgültig seinen Geist aufgegeben hat und er uns nicht abholen kann.


Ankunft im Schildkrötenzentrum. Erstmal Kaffeetrinken...


Beim ersten Rundgang durch die Anlagen des Schildkrötenzentrums entdeckte ich tatsächlich gleich einen Schlüpfling in einem Legehügel. Vorderbeine und Kopf gucken aus einem Loch heraus. Der Winzling ist völlig festgebacken im harten Lehm. Die Augen sind zugeklebt und das Mäulchen steht vor Anstrengung offen, als würde er gleich ersticken. So hart hätte ich mir den Schlupf in freier Wildbahn nicht vorgestellt. Ich muss zugeben, dass ich es nicht lange mit ansehen konnte und nach kurzer Zeit Geburtshilfe geleistet habe. Der Kleine wurde gewaschen und in ein Schlüpflingsgehege - einen abgeteilten Bereich mit viel Gestrüpp - gesetzt, wo er sofort ausgiebig getrunken hat.


Frisch geschlüpft
6.10.
Wieder strahlender Sonnenschein. Heute sollen einige Schildkröten in die freie Wildbahn entlassen werden. Es handelt sich um 8 Emys orbicularis aus einer Beschlagnahmung und einige Thb und Tgi, die Privatleute auf der Straße gefunden und im Schildkrötenzentrum abgeliefert haben. Täglich werden Schildkröten gebracht. Gestern kamen zwei Thb, heute eine Tgi. Wenn sie unverletzt sind, gesund aussehen und älter als 2 Jahre sind, werden sie baldmöglichst ausgewildert.
Wir laden zwei Kartons und ein Becken in den Kofferraum des Mietwagens und ich lenke das Auto die Holperstraße Richtung Emona entlang. An einem kleinen Flüsschen wollen wir die Emys frei lassen, aber leider ist der Fluss ausgetrocknet. An einer anderen Stelle führt er noch etwas Wasser. Dort entlassen wir die gepunkteten Panzerträger in die Freiheit. Die Emys haben lange unter menschlicher Obhut gelebt. Sie erkundeten sofort das Gewässer. Keine wollte zurück in ihr Plastikbecken.


Довиждане, Emys!

Auf der Hochebene von Emona, dem Lebensraum von Tgi und Thb verteilen wir 2 Graeca ibera und 4 Thb, die sich sofort im dichten Gras verkriechen.Es folgt eine längere Wanderung durch die von Dorngestrüpp bewachsene Gegend, in deren Verlauf wir mehrere Hinterteile von Thb und Tgi erblicken. Sie ragen aus Grasbüscheln und Sträuchern an Hängen, die nach Süden ausgerichtet sind. Hier in der Nähe werden sie überwintern - entweder im weichen, humosen Boden unter Sträuchern oder unter dichtem Grasfilz. Trotz des gleißenden Sonnenlichts wirken die Tiere ziemlich phlegmatisch. Sie spüren wohl, dass der Winter naht.

 Die wildlebenden Schildkröten verhalten sich ähnlich phlegmatisch wie unsere zu Hause


Es ist nicht besonders warm, aber das Sonnenlicht ist gleißend hell. Ich denke an meine Schildkröten zuhause, die jetzt wohl unter einer Gewächshausfunzel hocken, falls sie nicht schon vergraben sind.
Schlüpflinge sehen wir heute nicht. Nur zwei Nester mit leeren Eierschalen.


Auswilderung

7.10.

Morgens sind nur 13 Grad und es nieselt. Zeit fürs Internet.
Es regnet ununterbrochen. Vom Nachmittag bis spät in die Nacht hinein entwickelt sich ein Unwetter mit Sturm und Starkregen. Es regnet auch durch die Decke in unser Gäste-Appartment hinein und wir stellen Eimer auf. Wir verbringen den Tag im Wintergarten, kauen frisch geerntete Feigen, Trauben und Walnüsse und ich kann in Ruhe einen Text über die Verbreitungsgebiete von Thb und Tgi von V.A.Beshkov studieren. Außerdem übersetzte ich Teile von Iva und Ivos der englischsprachiger HP auf Deutsch und mache mich auf diese Weise etwas nützlich. Neben mir auf der Bank sitzt das große freilaufende Leguan-Weibchen und hinter mir rumpelte eine Kynixis in einem Terrarium, die dort ihr Ei ablegen soll. Es bleibt auch viel Zeit für Schildkröten-Gespräche mit Ivo und Iva.




So wundere ich mich, warum Gehege keinen Schutz gegen Fressfeinde haben, obwohl es hier Ratten, Marder, Schakale und Raben gibt. Selbst die Schlüpflingsgehege haben keine Abdeckung. Wir erörterten das Thema ausgiebig. Es hat auf der Station noch nie Übergriffe durch Fressfeinde gegeben. Das Gespräch endete nicht mit einer Erkenntnis, aber immerhin mit in einer Vermutung: Ratten und andere Fressfeinde verhalten sich möglicherweise in dichter besiedelten Gebieten anders als in sehr ländlichen Gebieten.


Winterquartiere werden ausprobiert

8.10.

Endlich reißt der Himmel etwas auf. Es ist immer noch stürmisch. Die Temperaturen liegen nur noch bei 10 Grad. Bei diesem Wetter sollen Schildkrötenbabys schlüpfen?! Und wer holt hier die Schildkröten ins geheizte Schlafhaus?
Die Temperaturen werden heute nacht auf jeden Fall deutlich unter 10 Grad liegen. Ivo trägt die Radiatas, Platynotas und andere tropische Schönheiten in die Frühbeete. Sie sind alle noch in ihren Freigehegen. Sobald wir abgereist sind, kommen sie in das Gäste-Appartment, das wir zur Zeit bewohnen und das mit einem riesigen Heizkörper ausgestattet ist.


9.10.
Ich finde einen mit Matsch verklebten Schlüpfling im Tgi-Gehege. Aus welchem Loch er kam, weiß keiner so genau. Der Schlupf erfolgt vorwiegend bei strahlendem Sonnenschein nach ausgiebigem Regen, erfahre ich. 

Zeit für einen Ausflug nach Pobiti Kamali, einem Gebiet mit eigenartigen Gesteinsformationen, genannt "der steinerne Wald". Ein magischer Ort! Wir laufen an bizarren Säulen entlang, die sich vor einer Kulisse aus gelb-rotem Herbstlaub und dramatischer Bewölkung abheben. Wir sind weit und breit die einzigen menschlichen Wesen. Schildkröten soll es hier auch geben, aber außer ein paar Eierschalen sehen wir keine Anzeichen. Die Saison ist vorbei, die Tiere haben sich bereits zurückgezogen.


Pobiti Kamali, ein magischer Ort


10.10.
Der Himmel ist strahlend blau und es sind für die folgenden Tage nochmal wärmere Temperaturen angesagt. Der Boden wird allmählich trocknen und laut Ivos Prognosen werden dann in den nächsten Tagen noch einmal Schlüpflinge ans Tageslicht kommen. Leider werden wir das nicht mehr erleben, weil am frühen Nachmittag schon der Flieger startet. Vormittags tauschen Ivo und Emilio das Wasser der 8 Chelydra-Becken (Schnappschildkröten). Da ist Manneskraft gefordert. Zum Glück werden diese Monster noch vor Wintereinbruch vom Zoo in Sofia aufgenommen.

In Varnas Straßengewirr verpassen wir die Ausfahrt zum Flughafen und verfahren uns hoffnungslos. In letzter Minute erreichen wir den Flughafen.




Diskussion zu den herbstlichen Bedingungen in den Habitaten im Schildkrötenforum http://www.landschildkroeten-forum.eu/t1655f39-Zu-den-Tgi-und-Thb-an-die-bulgarische-Schwarzmeerkueste-1.html



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